Die meisten von uns besitzen unglaublich viel Zeug, das wir höchstens ein oder zwei Mal brauchen. Sharing-Communities bieten die Möglichkeit, sich mit anderen zusammenzutun, um Alltagsgegenstände, Sofas, Zeit und Wissen miteinander zu teilen.
Am Briefkasten gesellen sich neben dem Namensschild noch mehrere hellblaue Quadrate mit Zeichnungen darauf: eine Pastamaschine, ein Schlitten, ein Velo, Bücher, ein Zelt, eine Velopumpe und das allen bekannte WLAN Symbol. Sie zeigen der Besucher*in: das alles kannst du hier ausleihen. Einfach klingeln, und schon hat dein Velo wieder Luft.
Die Sticker werden vom Verein Pumpipumpe seit einigen Jahren vertrieben. Die Idee dahinter ist einfach: In jedem Haushalt gibt es viele Dinge, die wir nur selten brauchen. Ein Rasenmäher oder ein Akkubohrer hat bei den meisten fast immer Pause. Statt sie im Keller vermotten oder im Gestell Staub ansammeln zu lassen, könnten sie von anderen gebraucht werden. Wenn ich selber mal etwas brauche, kann ich entweder beim Rundgang durch die Stadt nach den bunten Klebern Ausschau halten oder mich auf der Onlinekarte schlau machen, wo es das nächste Schlauchboot gibt.
Pumpipumpe möchte sich für einen bewussteren Umgang mit unseren Konsumgütern einsetzen. Statt dass sich jede*r eine eigene Nähmaschine kauft, könnte sich die nähere Nachbarschaft auch eine teilen. Das spart nicht nur Geld und reduziert den unweigerlich anfallenden Abfall. Es belebt auch die soziale Interaktion. Die Sticker sollen nämlich auch dazu animieren, mal wieder bei der Nachbar*in zu klingeln und dadurch gemeinsam ins Gespräch zu kommen.
Funktioniert das auch? Gemäss Onlinekarte gibt es in Bern etwa 300 Orte, wo Menschen ihr Werkzeug oder ihre Küchengeräte zur Ausleihe anbieten. Ramon ist einer davon und seit drei Jahren dabei. In seiner WG kann man fast alles ausleihen: von Brettspielen über einen Racletteofen bis hin zum Hammer. Leider kommen nur selten spontan Menschen vorbei, die etwas brauchen. «Ich fände es schön, wenn mehr Menschen bei mir klingeln würden», meint er darum. Er selbst leiht sich meistens Sachen bei Bekannten oder im Haus aus.
Sharing-Communities wie Pumpipumpe gibt es viele. Zu den bekanntesten gehören sicherlich Airbnb und Couchsurfing. Airbnb und ähnliche Sharing-Plattformen wie das Schweizer Projekt Sharely möchten aus dem Prinzip des Teilens eine alternative Form der Ökonomie erschaffen. Was ich nicht brauche, kann ich gegen Bezahlung mit anderen teilen. So lässt sich mit der leeren Wohnung im Sommer, der jährlich gebrauchten Digitalkamera und den Tourenskis im Keller nebenbei etwas Geld machen. Dadurch werden unsere Gebrauchsgegenstände auch wirklich gebraucht. Fraglich ist, ob solche Plattformen überhaupt zum Teilen da sind. «Wenn das «Teilen» marktgesteuert ist, dann können wir nicht mehr von Teilen sprechen» schreiben zum Beispiel Giana Eckhardt und Fleura Bardhi, zwei Professorinnen aus London im Harvard Business Review.
Bei Couchsurfing soll deswegen alles ohne Geld funktionieren. So steht auch nicht die optimale ökonomische Nutzung im Vordergrund, sondern das Teilen als Ideal: Es soll eine Gemeinschaft entstehen, in der Insiderwissen, Zeit und natürlich Sofas ohne notwendige Gegenleistung einander zur Verfügung gestellt werden. Im Vordergrund steht das gemeinsame Erlebnis, die verbrachte Zeit oder einfach nur die Idee des bedingungslosen Teilens. Für viele Couchsurfer*innen ist der Austausch menschlicher und gemeinschaftlicher, wenn Geld aus dem Spiel gelassen wird.
Es gibt aber auch Sharing-Communities, die noch weiter gehen: Ohne Geld soll auf dem Prinzip des Teilens eine ganze Gemeinschaft aufgebaut werden. Nebst materiellen Dingen – Sofas, Parkplätze, Saugglocke – lassen sich nämlich auch Dienstleistungen, Wissen oder Aktivitäten teilen. Gemeinsames Yoga und Radfahren stehen genau so auf dem Programm wie der Wissensaustausch beim Erstellen einer eigenen Webseite. Auf der Grundlage dieser Idee hat Kremena Diatchka mit einigen anderen Berner*innen kürzlich das Projekt «co-» ins Leben gerufen. Dort vereinen sich Menschen, die das unentgeltliche Teilen zur Lebensphilosophie machen wollen.
Der Wunsch zum Teilen entsteht oft aus einer Unzufriedenheit mit gegenwärtigen Gesellschaftsstrukturen. An die Stelle eines «race to the top» wird eine Gemeinschaft gesetzt, deren Mitglieder nach ihren Möglichkeiten beitragen und gemäss ihren Bedürfnissen profitieren. Nicht zuletzt basiert diese Vision auf die Überzeugung, dass wir zwar immer mehr besitzen und arbeiten, deshalb aber nicht glücklicher und zufriedener sind. Vielleicht hilft das Teilen dabei, wieder vermehrt mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen.
Trotzdem finden solche Initiativen eher im Kleinen statt. Es besteht die Gefahr, dass das Teilen nicht so richtig in die Gänge kommt, weil das Modell «Geld gegen Ware» zu sehr in unseren Köpfen verhaftet ist. Entsprechend können auch Ressentiments entstehen, wenn sich manche nicht gleich stark wie andere engagieren und scheinbar bloss profitieren. Doch auch hier versprechen Sharing-Communities wie co- oder Pumpipumpe eine neue Perspektive. Sie wollen die Herzen und Köpfe von Menschen erreichen; nicht unsere Portemonnaies. Das Teilen soll zum Nachdenken anregen – über unsere Prioritäten, unsere Beziehungen und unser Geld. Darum leihe ich mir jetzt schnell ein Waffeleisen von gegenüber aus.
Dieser Artikel wurde im Juli 2017 auf tink.ch veröffentlicht.