Früher hörte die NSA auf dem Teufelsberg den sowjetischen Funkverkehr ab. Heute ist es die vielleicht grösste Street Art Galerie der Welt. Doch es ist auch eine Gratwanderung zwischen Kommerzialisierung und gesellschaftlichem Freiraum.
Das Wichtigste am Eingang ist die Unterschrift. Ohne einen Haftungsausschluss zu unterschreiben kommt niemand legal aufs Gelände: Auf dem Teufelsberg mitten im Berliner Grunewald herrschen zwar eigene Regeln, doch Sicherheit muss trotzdem sein. Immerhin betreten wir hier marodes Bauwerk – original aus dem Kalten Krieg. Und dennoch geht es auf dem Teufelsberg nicht bloss um den Kult des Verlassenen, Zerfallenen und Überwucherten. Es geht auch um künstlerische und gesellschaftliche Freiheit.
Den Teufelsberg gibt es erst seit dem Ende des zweiten Weltkriegs. Damals lag in der Hauptstadt jede Menge Schutt und Trümmer. Um Neuem Platz zu machen, türmte man am Rand der Stadt alles auf einen Haufen. Dieser Haufen ist jetzt 120 Meter hoch und nebst der Berliner Mauer eines der eindrücklichsten Kultur- und Zeitdenkmäler aus dem Kalten Krieg.
Lange Zeit wurde der ehemals höchste Berg Berlins durch die Alliierten als Abhörstation verwendet. Die ersten mobilen Anlagen wurden 1961 aufgefahren, ab 1963 baute man die noch heute stehenden Gebäude mitsamt den unverwechselbaren Radomen – grosse Antennenkuppeln, unter denen früher das Spionagegerät eingebaut war. Was dort oben genau gemacht wurde, weiss niemand so genau. Es ging wohl um Signalstörung und die Abhörung des sowjetischen Funkverkehrs. Vielleicht werden wir es im Jahr 2022 erfahren, wenn die Akten der Geheimdienste der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Mit der deutschen Wiedervereinigung verlor man das Interesse am Abhören. Erst wurde in den Anlagen noch der zivile Luftverkehr überwacht, doch um die Jahrtausendwende wurde das ganze Gelände an private Investor*innen verkauft. Der ursprüngliche Plan, dort ein Tagungshotel, ein Spionagemuseum, Wohnungen und eine Gaststätte zu bauen, ging nicht auf. Es gab Widerstand aus der Bevölkerung und irgendwann folgten auch finanzielle Probleme. Und so stand das Gelände viele Jahre brach.
Es sollte bis 2010 dauern, bis sich mit Shalmon Abraham ein Pächter fand, der Besuche im mittlerweile ziemlich heruntergekommen verlassenen Ort ermöglichte. Durch die ungenutzten Jahre waren die Gebäude und die auffälligen Radome teilweise beschädigt. Noch heute ist vieles zerfetzt und zerfallen. Gleichzeitig mit dem Neustart wurde auch eine grosse Graffiti Galerie initiiert. Die hohen Räume und die vielen neu hochgezogenen Wände waren wie geschaffen für Murals und Street Art. So entwickelte sich die ehemalige Abhörstation in den letzten Jahren zu einem Freiraum der Kreativität.
Doch es gab auch Konflikte. Einige befürchteten, dass es mit dem verlangten Eintritt bloss ums Geld ginge. Was ehemals ein Ort der Entdeckens, der Einsamkeit und der Abenteuerlust war, drohte stattdessen im Kommerz zu versinken. Auch darum wurde Marvin Schütte – Sohn eines der Eigentümer – 2015 neuer Pächter des Teufelsbergs. Im Gegensatz zu früher sollte es nun nicht mehr um den Profit gehen. Dies entspräche auch dem Wunsch einiger aus der Bevölkerung, welche den Teufelsberg «zu einer modernen, überregionalen Austauschplattform und Denkfabrik für Kultur, Kunst, Geschichte, Technik, Natur und neue Wirtschaftsmodelle» machen möchten, wie der unabhängige Verein Initiative Kultur-DENK-MAL Berliner Teufelsberg in seinem Manifest schreibt. Trotzdem zahlen Besucher*innen auch heute noch Eintritt.
Als einzigartiges historisches Kulturdenkmal hat der Teufelsberg einen grossen Wert für die allgemeine Bevölkerung. Durch die geregelte Nutzung ist es möglich, dass alle dieses Zeugnis der alliierten Besatzung erleben können. Ein blosses Denkmal der Vergangenheit ist der Teufelsberg aber trotzdem nicht. Im Gegenteil: Vieles ist hier lebendig und im Entstehen begriffen. Es gibt ein kleines Kaffeehäuschen, einen Essensstand und natürlich jede Menge zu entdecken. Im ersten Stock des Hauptgebäudes haben sich Künstler*innen in eigenen Ateliers eingerichtet und verkaufen vor Ort ihre Werke. Nicht zuletzt zeigen die über 300 Graffiti und Kunstinstallationen wie unglaublich vielseitig und aktiv dieser Ort ist.
Natürlich gibt es auch solche, für die der Teufelsberg ein Schandfleck ist. Die ausgefallene Street Art gefällt nicht jedem und jeder. Und noch immer sind die Zeichen des Zerfalls und der jahrelangen Vernachlässigung zu sehen. Vieles ist wohl für immer zerstört. Doch vielleicht ist gerade das der grosse Reiz dieses Ortes, wo man die dicke Luft des Kalten Krieges förmlich einatmen kann.
Dieser Artikel wurde im Juni 2017 auf tink.ch veröffentlicht. Die Bilder stammen von Ludomil Sawicki.