Versteckte Zentralisierung

Durch Dezentralisierung will die Blockchain gleiche Rechte und Chancen für alle herstellen. Aber: «Was hier dezentralisiert wird, ist nicht Macht, sondern Risiko», meint die Kryptoforscherin Jaya Klara Brekke.

Seit etwas mehr als einem Jahr sind die Blockchain und Kryptowährungen in aller Munde. Dabei dreht sich die Berichterstattung vor allem um den schwindelerregenden Kursanstieg und den damit einhergehenden Investitionshype. Auch Betrug und der riesige Energieverbrauch standen im Zentrum der Debatte. Wenig Beachtung fanden derweil politische und soziale Fragen: Wer hat wie viel Macht im dezentralisierten Netzwerk der Blockchain? Ist die Blockchain vielleicht gar ein Werkzeug, das mehr Demokratie ermöglicht?

Seit einigen Monaten herrscht nun der sogenannte «Kryptowinter». Der Kurs von Kryptowährungen ist wieder stark gesunken und relativ stabil. Die Zeitungen haben das Interesse verloren. Das ermöglicht endlich einen Diskurs über diese zentralen Fragen. Überall erforschen Entwickler*innen, wie sich die Blockchain in sozialen Kontexten einsetzen lässt. Mit dabei ist auch die Aktivistin und Wissenschaftlerin Jaya Klara Brekke. Sie versucht das Feld der «politischen Kryptoökonomie» zu definieren. Weg von Fragen des Geldes und der Investitionszyklen und hin zur Frage: Wie verändert die Blockchain eigentlich unsere sozialpolitische Welt?

Die Blockchain ist in aller Munde. Ist das bloss ein Hype oder sollten wir uns eingehender damit beschäftigen?

Brekke: Die Blockchain hat das Potenzial, die Speicherung und Verifikation von Informationen zu transformieren. Gleichzeitig lassen sich mit intelligenten Verträgen alle möglichen Vereinbarungen automatisieren. Und Kryptowährungen werfen eine ganze Menge Fragen über die Natur und den Zweck von Geld auf. Diese drei Bereiche betreffen eine radikale Umgestaltung grundlegender Bausteine unserer Gesellschaft. Darum lohnt es sich, diese besser zu verstehen. Trotzdem muss betont werden, dass mit der Blockchain viele übertriebene Ansprüche verbunden sind. Entsprechend schwierig ist es für die meisten, zu wissen, worin die tatsächlichen Möglichkeiten bestehen. Darum gilt die wichtige Regel: Geh niemals davon aus, dass diese Technologien irgendein Problem endgültig lösen!

Trotzdem liegt grosse Hoffnung in der Tatsache, dass die Blockchain ein dezentralisiertes Netzwerk ist. Was bedeutet «Dezentralisierung» in diesem Kontext?

Der Begriff «Dezentralisierung» wird hier oft missverstanden. Viele neigen dazu, ihn mit einer vagen Vorstellung von «Demokratisierung» zu verbinden. Dabei war der Fokus innerhalb der Geschichte von dezentralen Netzwerken viel spezifischer. Es ging darum, Zensur zu verhindern. Ein dezentrales Netzwerk kann nicht so einfach stillgelegt werden wie ein zentrales Netzwerk.

Das würde aber trotzdem bedeuten, dass die technische Dezentralisierung eng mit demokratischen Prozessen und Werten verknüpft ist.

Vielleicht in dieser einen Hinsicht. Es stimmt, dass sich ein zensurresistentes dezentrales Netzwerk dahingehend auf die Demokratie bezieht, dass darin eine böswillige Autorität den Informationsaustausch nicht verhindern kann. Das bedeutet aber nicht, dass in einem solchen Netzwerk auch die Macht in irgendeiner Weise dezentralisiert ist. Manche Akteurinnen und Akteure sind schlicht besser darin, eine dezentralisierte Infrastruktur auszunutzen und Macht zu konzentrieren.

In welcher Form geschieht diese strategische Nutzung von Macht und Einfluss denn bereits heute?

In letzter Zeit sieht die Blockchain immer mehr wie eine Technologie für wohlhabende Private, Banken und Unternehmen aus. Denn sie können damit den Kapitalfluss abseits der demokratischen Aufsicht am Laufen halten und automatisieren. Das ist überhaupt nicht die radikale ökonomische Veränderung, die mit der Blockchain ursprünglich angestrebt wurde. Was bei der Blockchain dezentralisiert wird, ist nicht Macht, sondern Risiko und Systembelastung.

Wie kann denn Macht in einem dezentralisierten System so ungleich verteilt sein?

Weil die Blockchain aus verschiedenen Schichten besteht: Eine technische Dezentralisierung der Information kann ein äusserst effektives Mittel zur wirtschaftlichen Zentralisierung von Macht und Reichtum sein. Die Blockchain an sich – das Informationsnetzwerk – sollte dezentralisiert sein. Doch die tatsächlichen Beziehungen ausserhalb davon – zwischen Menschen und Institutionen, die diese Technologie nutzen – werden deswegen nicht automatisch auch dezentralisiert. Wir dürfen nicht den Fehler begehen, bloss auf das technologische System zu schauen. Die tatsächlichen Auswirkungen und Anwendungen eines Systems entstehen immer in Wechselwirkung mit anderen Systemen und Kontexten. Im Fall der Blockchain ist dies das realwirtschaftliche System des Kapitals.

Machtungleichgewichte entstehen aber bei der Blockchain auch durch die grosse Komplexität.

Ja, je komplexer ein System ist, desto schwieriger ist es für Einzelne, die möglichen Folgen ihres Handelns zu verstehen. Hier kann Dezentralisierung eher zu einer Entmachtung statt zu einer Ermächtigung führen. Dabei gibt es eine kleine Formel: Je komplexer ein System, desto weniger ermächtigend für die einzelnen wäre eine Dezentralisierung dieses Systems. Deshalb sollten wir in manchen Fällen eine Entkomplexisierung anstreben, damit die Konsequenzen des Handelns wieder klarer ersichtlich werden. Tatsächlich fliesst momentan sehr viel Arbeit in den Versuch, zum Beispiel Smart Contracts einfacher verständlich und anwendbar zu machen. Das Problem ist: Dieses Feld besitzt ein völlig neues Vokabular und eine neue Logik. Diese sind darüber hinaus mit ohnehin schon komplexen Bereichen wie Ökonomie und Recht verknüpft.

Die Blockchain wird oft als politisch neutral bezeichnet. Sie argumentieren in Ihrer Forschung, dass dies nicht der Fall ist. Können Sie das erklären?

Technologien werden immer von einer spezifischen Gruppe von Entwicklerinnen und Ingenieuren programmiert. Diese haben offensichtlich ihre eigenen Vorstellungen, was «gut» oder «schlecht» ist. Das sieht man ja bereits an der ursprünglichen Idee von Bitcoin, die als Reaktion auf die Finanzkrise entstand. Entwicklungsprozesse finden also immer in einem sozialen, politischen, wirtschaftlichen und historischen Kontext statt. All diese Dinge prägen das, was technisch möglich ist und was als wünschenswert betrachtet wird.

Technologie ist also nicht neutral.

Nein, sie entsteht auf der Grundlage einer bestimmten Idee davon, was gut ist und was nicht. Und sobald sie angewandt wird, reproduziert sie diese Ideen kontinuierlich weiter. Das macht es auch so schwierig, innerhalb einer Technologie Mechanismen zu verändern. Doch wir dürfen auch nicht glauben, dass wir Technologien deshalb nach unseren eigenen Wünschen formen können. Denn sobald eine Technologie im Umlauf ist, interagiert sie mit anderen Systemen und produziert Resultate, die wir weder vorhersehen noch kontrollieren können. Die Ideen und Werte, die wir in ein System programmieren haben nicht immer den erwünschten Effekt.

Wäre es nicht trotzdem wichtig, die Blockchain politisch und gesellschaftlich stärker zu lenken?

Das war durchaus die Lektion aus den Jahren 2016–2017. Damals tauchten mehrere interne Konflikte und Schwachstellen auf. Nehmen wir als Beispiel die Entdeckung des sogenannten DAO-Exploits: Jemand nutzte eine Schwachstelle im Code einer sogenannten Dezentralen Autonomen Organisation (DAO) aus. Solche Organisationen sollten eigentlich bloss in der Blockchain existieren und durch programmierte Regeln agieren, die automatisch ausgeführt werden. Leider erlaubten diese Regeln in diesem Fall auch einen kontinuierlichen Abfluss von Geld. Das war zwar unbeabsichtigt aber gemäss den Prinzipien der Blockchain völlig legal – denn die Programmierung definiert, was erlaubt ist und was nicht.

Was wurde daraus gelernt?

Dass das Programmieren der Blockchain nicht bloss ein technisches Problem ist. Sobald jemand ein Programm schreibt, das politische und wirtschaftliche Probleme lösen soll, wird dieses Programm und die Autorenschaft politisiert und in wirtschaftliche Interessen verwickelt. Für die Blockchain-Community sind solche Fragen aber nicht politisch, sondern schlicht Lenkungsprobleme. Denn bei der Governance geht es darum, bestehende Differenzen technisch zu verwalten. Das können Computersysteme durchaus tun. In der Politik geht es dagegen um ständig wandelnde Konflikte und Verhandlungen zwischen Menschen, Positionen und Dingen. Diese Prozesse können nie endgültig gelöst und modelliert werden. Vor allem weil die Systeme, die wir als Lösung bauen, selbst wieder politisch umstritten sein könnten und einigen mehr zugutekommen lassen als anderen.

Liegt die ökonomische Zukunft in der Blockchain?

Ich interessiere mich nicht so sehr für Prognosen. Davon gibt es bereits genug. Mich interessieren die aktuellen Entwicklungen und wie wir den Kurs mitgestalten können. Darum hoffe ich, dass diese Debatten weiterlaufen können. Und ich wünsche mir auch, dass wir hinsichtlich der komplexen und fragilen Zusammenhänge – Technologie, Wirtschaft, Politik und Umwelt – bescheiden bleiben können.

Jaya Klara Brekke forscht am Geographiedepartment der Universität Durham und im Departement für Informatik des University College London zu politischen Entwicklungen innerhalb der Blockchain. 2016 schlug sie gemeinsam mit der Organisation B9Lab mit dem «Satoshi Oath» eine Art hippokratischen Eid für die Entwicklung von Blockchain-Software vor.

Dieses Interview wurde in leicht geänderter Fassung im Magazin Zeitpunkt (159) veröffentlicht.